Parlament beschließt Einführung eines permanenten Bürgerdialogs
In der Plenarsitzung vom 25. Februar 2019 verabschiedete das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft den Dekretvorschlag zur „Einführung eines permanenten Bürgerdialogs in der Deutschsprachigen Gemeinschaft“. Damit schafft es die Grundlage zur Einsetzung eines ständigen Verfahrens partizipativer Demokratie. Eine erste Dialogrunde wird für Anfang 2020 erwartet.
Als Vorlage für die Entscheidung diente ein eigens für die Deutschsprachige Gemeinschaft entwickeltes Modell, das von einer Gruppe belgischer und internationaler Experten ausgearbeitet wurde.
Mit der Initiative werden drei Ziele verfolgt:
- Bürger aktiv beteiligen;
- politische Prozesse nachvollziehbar machen;
- eine stärkere Unterstützung von öffentlichen Entscheidungen.
Die Sicherung der Beteiligung von Bürgern an der Politikgestaltung erfolgt über verschiedene Gremien und Verfahren: Bürgerversammlungen werden zu bestimmten Themen, die auch von den Bürgern selbst vorgeschlagen werden, Empfehlungen verabschieden. Anschließend werden sie gemeinsam und auf Augenhöhe mit den Parlamentariern und der Regierung darüber diskutieren, ob und auf welche Weise diese Empfehlungen umgesetzt werden. Am Ende dieses Prozesses soll eine Art “Vereinbarung” zwischen den Politikern und den Bürgern festhalten, was umgesetzt wird und was nicht.
Durch die Teilnahme an den Bürgerversammlungen erhalten die Bürger einen tieferen Einblick in die Arbeit eines Politikers: Sie werden nachvollziehen können, was es heißt, sich umfassend zu informieren, Argumente auszutauschen und sich schließlich auf einen Text zu einigen.
Die Einbindung der Bürger in den politischen Entscheidungsprozess soll die Legitimation der öffentlichen Beschlussfassung steigern und somit letztendlich auch die demokratischen Institutionen stärken.
Grundpfeiler des Bürgerdialogs
Zum Erreichen der Ziele werden drei Grundsätze beschlossen:
Beständigkeit: Die Bürger werden in regelmäßigen Abständen zu Versammlungen zusammengerufen, um bestimmte Themen zu beraten und dazu Empfehlungen zu verabschieden. Ein Bürgerrat organisiert die Versammlungen und überwacht die Umsetzung.
Repräsentativität: Die am Dialog teilnehmenden Bürger werden per Los ausgewählt. Damit können auch die Bürger eingebunden werden, die sonst wahrscheinlich nie zu Wort gekommen wären. Bei der Auswahl werden zudem bestimmte Kriterien - wie Alter, Geschlecht, geographische Herkunft und sozio-ökonomischer Hintergrund - berücksichtigt, sodass die ausgewählten Bürger einen guten Querschnitt der Bevölkerung bilden. Schließlich gibt es einen kontinuierlichen Wechsel der beteiligten Bürger.
Qualität des Dialogs: Die Bürger werden umfassend vorbereitet, informiert und betreut, damit sie in Kenntnis der Sachlage ihre Empfehlungen formulieren können.
Die Organisation des Bürgerdialogs
Der Bürgerdialog in der Deutschsprachigen Gemeinschaft baut sich auf drei Einrichtungen auf:
- einem Bürgerrat aus 24 Bürgern;
- Bürgerversammlungen mit 25-50 Mitgliedern;
- einem ständigen Sekretär.
Kernstück des Dialogs ist die Bürgerversammlung. Hier werden die Themen inhaltlich besprochen und die Empfehlungen ausgearbeitet. Bürgerversammlungen wird es zwischen einem und drei Mal pro Jahr geben. Sie umfassen zwischen 25 und 50 Bürgern. Die Teilnahme ist freiwillig. Die Teilnehmer werden per Los unter den Bürgern ausgewählt, die mindestens 16 Jahre alt sind und ihren Hauptwohnsitz im deutschen Sprachgebiet haben. Idealerweise stellen sie einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung dar. Personen, die bestimmte öffentliche Mandate, Ämter oder Funktionen ausüben, werden ausgeschlossen, um Interessenskonflikte zu vermeiden.
Die Themen werden von einem Bürgerrat aus 24 Bürgern bestimmt. Idealerweise sind es Bürger, die vorher bereits an Bürgerversammlungen teilgenommen haben. Auch sie werden per Los ausgewählt. Ihre Mandatszeit ist auf 18 Monate beschränkt, alle 6 Monate wird ein Drittel des Bürgerrats ausgetauscht. Der Bürgerrat trifft sich in regelmäßigen Abständen. Seine Rolle ist es, die Bürgerversammlungen vorzubereiten, zu organisieren und nachzubereiten. Darüber hinaus kommt dem Bürgerrat die Aufgabe zu, die durchgeführten Bürgerversammlungen zu evaluieren und daraus Rückschlüsse für künftige Bürgerversammlungen zu ziehen. Schließlich verfolgt der Bürgerrat auch die Umsetzung der Empfehlungen.
Der Bürgerrat wird von einem ständigen Sekretär unterstützt. Er übernimmt die tägliche Geschäftsführung des Bürgerdialogs. Er bereitet alle Beschlüsse des Bürgerrats und der Bürgerversammlung vor. Dazu gehört insbesondere die Organisation und die Durchführung des Losprozesses, die Anwerbung des Moderators, die Auswahl der Informationen und der Sachverständigen, die Kommunikation nach außen, die Verwaltung des Budgets und die Klärung aller logistischen Aspekte wie Saalreservierung, Catering usw. Der ständige Sekretär gehört der Parlamentsverwaltung an und wird vom Greffier bezeichnet.
Ablauf des Bürgerdialogs
Der Bürgerrat legt die Themen des Bürgerdialogs fest. Die Themen sollten in der Regel einen unmittelbaren Bezug zu den Zuständigkeiten der Deutschsprachigen Gemeinschaft aufweisen. Diese Einschränkung ist wichtig, da sowohl die Bürger als auch die Politiker ein Interesse daran haben, dass die Empfehlungen der Bürgerversammlung auch tatsächlich umgesetzt werden können. Nur ausnahmsweise können Themen behandelt werden, die ein besonderes gesellschaftliches Interesse hervorrufen.
Der Bürgerrat kann auf Themenvorschläge zurückgreifen, die ihm von seinen eigenen Mitgliedern vorgelegt werden. Auch die Parlamentsfraktionen und die Regierung können Vorschläge formulieren. Um deren Einfluss zu beschränken, ist die Anzahl jedoch auf maximal 3 pro Kalenderjahr begrenzt. Schließlich können auch die ostbelgischen Bürger Vorschläge unterbreiten. Um eine gewisse Repräsentativität zu garantieren, müssen diese Vorschläge von mindestens 100 Bürgern unterstützt werden. Letztendlich entscheidet der Bürgerrat aber vollkommen frei über die Themen, die der Bürgerversammlung vorgelegt werden.
Sobald das Thema festgelegt ist, wird die Bürgerversammlung einberufen. Die Bürger werden schätzungsweise 2-3 Tage für die Beratung des vorgelegten Themas benötigen.
Um in Kenntnis der Sachlage entscheiden zu können, wird ein Informationspaket zusammengestellt, Experten und Interessenvertreter angehört und intensiv darüber diskutiert. Das Ganze wird von einem kompetenten Moderator begleitet und betreut. Am Ende verabschiedet die Bürgerversammlung eine Reihe von Empfehlungen, idealerweise im Konsens.
Den Empfehlungen sollen Taten folgen. Da das Parlament und die Regierung dafür in erster Linie die Verantwortung tragen, sieht das Verfahren einen offenen Austausch zwischen den Bürgern und den Politikern vor. Zunächst werden die Empfehlungen im Rahmen einer öffentlichen Ausschusssitzung vorgestellt und gemeinsam debattiert. Anschließend versammeln sich die Ausschussmitglieder und die zuständigen Minister, um eine Stellungnahme zu den Empfehlungen auszuarbeiten. Darin wird beschrieben, ob und auf welche Weise die Empfehlungen umgesetzt werden. Kommen die politischen Vertreter zu dem Schluss, dass eine Empfehlung nicht umgesetzt wird, muss dies ausdrücklich begründet werden. Abschließend treffen sich die Bürger und die Politiker erneut, um über die Stellungnahme zu diskutieren.
Damit ist der Bürgerdialog noch nicht gänzlich abgeschlossen. Der Bürgerrat verfolgt die Umsetzung der Empfehlungen. Innerhalb eines Jahres findet zudem nochmals eine öffentliche Ausschusssitzung statt, bei der in Anwesenheit der Teilnehmer der Bürgerversammlung über die Umsetzung der Empfehlungen berichtet wird. Weitere Sitzungen können bei Bedarf einberufen werden.
Die zur Verfügung gestellten Mittel
Der Bürgerrat verabschiedet jährlich einen Haushaltsplan, der dem Parlamentspräsidium zur Genehmigung vorgelegt werden muss. Nach Genehmigung werden entsprechende Mittel im Haushaltsplan des PDG vorgesehen.
Mit den Finanzmitteln werden der ständige Sekretär, die Entschädigungen der Bürger, die am Bürgerrat und an den Bürgerversammlungen teilnehmen, die Organisations- und Logistikkosten, die Honorare der Experten und des Moderators, die Kosten für das Losverfahren und Ähnliches mehr bestritten.
Wie hoch diese Mittel sind, wird im Wesentlichen von der Anzahl, der Größe und dem Umfang der Bürgerversammlungen abhängen. Die Experten gehen bei 2 Bürgerversammlungen und 10 Bürgerratssitzungen im Jahr von einem Gesamtbetrag in Höhe von ca. 140.000 € pro Jahr aus.